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Tag der Pflege: #5nach12

Fünf nach Zwölf: Diakonie sieht „prekäre Versorgungslage“ in der Pflege

Tag der Pflege

In ihrem Forderungskatalog zur Verbesserung der Pflege fordert die Diakonie vor allem eine grundlegende Finanz- und Strukturreform der Pflege

Die Situation in der Pflege bleibt angespannt. Nun stellt die Diakonie Hessen anlässlich des Tags der Pflege am 12. Mai einen umfassenden Forderungskatalog vor. Sie will auch die Länder stärker in die Pflicht nehmen.

Anlässlich des Tags der Pflege am 12. Mai hat die Diakonie Vorschläge für eine Verbesserung der Situation in der Pflege vorgelegt. Sie mahnt in ihrem Forderungskatalog vor allem eine grundlegende Finanz- und Strukturreform der Pflege an. So seien etwa eine Neuaufstellung der Pflege-Finanzierung, eine bessere Unterstützung bei Kosten für Infrastruktur oder Hilfen für die Ausbildung bei Pflegeberufen nötig. Hier müssten auch die einzelnen Bundesländer aktiv werden und sich für eine Verbesserung der Situation einsetzen, heißt es in dem Forderungskatalog der Diakonie weiter. Zum Thema hat die Diakonie zudem eine Aktion in den sozialen Medien unter dem Motto #5nach12 gestartet.

Schwierige Versorgungslage für Menschen im Alter

„Uns beunruhigt die in Deutschland und in Hessen immer prekärer werdende Versorgungslage von Menschen im Alter mit Unterstützungs- und Pflegebedarf“, erläutert Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen. Eine Umfrage des Devap (Deutscher Evangelischer Verband für Altenarbeit und Pflege e.V.) habe gezeigt, dass mehr als die Hälfte der Pflegeeinrichtungen freie Plätze aufgrund von Personalmangel nicht belegen könnten. Teilweise hätten deshalb schon Wohnbereiche geschlossen werden müssen. Die Versorgungssituation in der ambulanten Pflege sei noch dramatischer: So hätten etwa 90 Prozent der Dienste in den letzten sechs Monaten Neukunden ablehnen müssen. Fast zwei Drittel hätten im selben Zeitraum Leistungen für ihr bestehenden Pflegebedürftigen nicht ausstocken können, so die Umfrage weiter.

Prekäre Situationen in vielen Bereichen der Pflege

„Der Mangel an Kolleg:innen erschwert die Arbeit der Mitarbeitenden im Dienst und in der Einrichtung und bedeutet eine noch weiter zunehmende Arbeitsbelastung. Hier muss gegengesteuert werden“, fordert auch Ulrike Scherf, Stellvertretende Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Neben dem Personalmangel sei auch die wirtschaftliche Situation schwierig. Durch die hohen Preissteigerungen insbesondere in den für Pflegeeinrichtungen relevanten Bereichen wie Lebensmittel, oder im medizinischen Bedarf, seien die Betriebskosten in den Einrichtungen massiv gestiegen. Eine Pflegeeinrichtung könne aber nicht einfach ihre Heimentgelte erhöhen, sondern müsse dies in „langwierigen Verfahren mit Kostenträgern verhandeln“. Bis die Erhöhung der Heimentgelte dann realisiert sei, vergingen in der Praxis oft Monate, in denen eine Einrichtung die gestiegenen Kosten vorfinanzieren muss. Dies belaste dann wiederum die Liquidität und treibt weiterhin die Kosten für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen in die Höhe.

Forderungskatalog der Diakonie Hessen

Aus diesen Gründen hat die Diakonie einen umfassenden Forderungskatalog erstellt. Als wichtigster Punkt gilt, dass eine grundlegende Finanz- und Strukturreform der Pflege nötig ist, damit sie in Zukunft überhaupt noch bezahlbar sei. Die bisherigen kleinen Veränderungen greifen nach Ansicht der Diakonie nicht weit genug. Sie lösten die strukturellen Probleme in der Pflege nicht. Auch die Landesebene müsse sich damit beschäftigen und Forderungen an den Bund weitergeben. Die Träger, Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen benötigten dringend mehr Planungssicherheit

Hintergrund: Internationaler Tag der Pflege

Der Internationale Tag der Pflege am 12. Mai ist auf den Geburtstag der britischen Krankenschwester Florence Nightingale (geboren am 12. Mai 1820) zurückzuführen. Die Tochter einer wohlhabenden, britischen Familie hat sich schon früh der Pflege kranker Menschen gewidmet und die moderne westliche Krankenpflege begründet. Seit 1967 findet ihr zu Ehren in Deutschland der Tag der Pflege statt.

 

Dokumentation 

Forderungskatalog der Diakonie zum Tag der Pflege 2023

 

1.    Grundlegende Finanz- und Strukturreform der Pflege

„Damit Pflege in Zukunft überhaupt noch bezahlbar ist, brauchen wir eine grundlegende Finanz- und Strukturreform der Pflege“

Die bisherigen kleinen Veränderungen greifen nicht weit genug. Sie lösen die strukturellen Probleme in der Pflege nicht. Auch auf Landesebene müssen wir uns damit beschäftigen und Forderungen an den Bund weitergeben: Eine grundlegende Finanz- und Strukturreform ist notwendig:

Wir benötigen dringend mehr Planungssicherheit für Träger, Pflegebedürftige und ihre Angehörigen durch eine tatsächliche Deckelung des pflegebedingten Eigenanteils: Das heißt, alle Pflegebedürftigen beteiligen sich mit einem festgelegten Eigenanteil an der Versorgung, alle darüber hinaus gehenden Kosten zahlen Pflege- und Krankenversicherung anteilig. Dies gilt für alle Versorgungsformen gleichermaßen. Aktuell macht genau die gegenteilige Lösung arm:

„Das Land muss Verantwortung übernehmen damit Unterstützung und Pflege genau dort geleistet wird, wo sie auch benötigt wird.“

Dazu werden Leistungen der Pflegestützpunkte als wichtige, wohnortnahe Beratungseinrichtungen ausgebaut. Diese können dann umfassende Beratungs- und Koordinierungstätigkeiten übernehmen (Lotsenfunktion). Sie müssen beworben werden und barrierefrei erreichbar sein. Bedarfe in der Pflegeversorgung können so erkannt und entsprechende Angebote geplant werden.

„Eine Versorgung der Zukunft kann nur durch eine gelungene Vernetzung von professionellen und informellen Hilfestrukturen funktionieren.“

Grundlage dafür ist eine sozialräumlich orientierte Altenhilfe- und Pflegestrukturplanung. Die Kommunen brauchen für die Erarbeitung Unterstützung und ggf. Vorgaben vom Land. Dazu empfehlen wir die Besetzung einer koordinierenden Stelle auf Landesebene.

„Menschen erhalten ab einem bestimmten Alter reguläre Beratungsbesuche – um Selbstständigkeit zu unterstützen und Pflegebedürftigkeit vorzubeugen“

Präventive Leistungen, die der Gesunderhaltung dienen und die Lebensqualität und Integration beeinträchtigter Bürger*innen im Alltag verbessern, sollten durch die Kommunen gefördert und finanziert werden. Der sog. „Präventive Hausbesuch“ soll als Regelleistung im Rahmen der Gesundheitsförderung und Prävention im Alter etabliert werden. Gemeindepfleger:innen werden weiter gefördert und in ausreichender Zahl in der Fläche etabliert.

2.    Rahmenbedingungen für mehr Altenpflegehelfer*innen verändern.

„Damit auch weiter Menschen pflegerisch versorgt werden, brauchen wir eine Ausreichende Refinanzierung der Altenpflegehilfeausbildung und gleichzeitig niedrigschwellige Qualifikationsprogramme für ungelernte Pflegehilfskräfte“

Die Altenpflegehilfeausbildung ist in Hessen nicht auskömmlich finanziert, viele Schulen in Hessen bauen ihr Angebot einer 1-jährigen Ausbildung ab. Damit jetzt und auch in Zukunft die Weichen auf Ausbildung – auch in der Altenpflegehilfe – gestellt sind, empfehlen wir folgende Maßnahmen:

·         eine bundeseinheitliche generalistische Assistenzausbildung (QN 3);

·         ein Verfahren zur externen Prüfung (QN 3) auf Landesebene als grundsätzliche Möglichkeit (und nicht nur als Einzelfalllösung) zur kurzfristigen Erleichterung auf dem Arbeitsmarkt.

·         Die Entwicklung neuer niedrigschwelliger Qualifikationsprogramme zur Vermittlung einer Basisqualifikation für ungelernte Pflegehilfskräfte zu Beginn ihrer Tätigkeit.

Alle diese Maßnahmen sind auf ein tragfähiges Finanzierungskonzept angewiesen, welches nicht nur die Kosten für die Pflegehelfer*innenausbildung in Form einer Landesumlage sicherstellt, sondern verlässliche Rahmenbedingungen schafft, in denen Pflegeausbildung gelingen kann. Hierzu gehört auch die sichergestellte Finanzierung von regelhaften pflegefachlichen, wie auch sozialpädagogische Begleitungsangeboten vor Ort.

3.    Refinanzierung einer modernen professionellen Versorgung mit ausreichend Personal.

„Ausreichend Personal und neue Lösungen wie bspw. Springerpools, müssen refinanziert werden“

Nur mit ausreichend Geld im System können ambulante wie stationäre Pflegeeinrichtungen bessere Arbeitsbedingungen (mehr Gehalt, mehr Weiterbildungen u.v.m.) ermöglichen. Dazu braucht es neben den Bemühungen der Einrichtungen auch Rahmenbedingungen, die innovative Beschäftigungsmodelle, wie bspw. Springerpools, auch finanziell ermöglichen.

Der aus der Umsetzung des neuen bundeseinheitlichen Personalbemessungsverfahrens nach § 113c SGB XI resultierende Mehrbedarf an Personal muss vollständig refinanziert sein. Dies umfasst auch die hierfür erforderliche professionelle und zeitgemäße Personal- und Organisationsentwicklung. Dies muss mit einer Finanzreform der Pflegeversicherung einhergehen, da diese Zusatzkosten ansonsten durch steigende Eigenanteile an die Pflegebedürftigen abgewälzt werden.

„Die Bürokratie in der Pflege ist in Deutschland weitaus höher als in anderen Ländern und muss dringend reduziert werden – denn irgendwann sind die Prozesse so kompliziert, dass sie gerade von kleineren Einrichtungen nicht mehr zu stemmen sind“

Damit wieder mehr Zeit für die direkte Versorgung der Menschen möglich ist, muss das Land Hessen sich für eine Vereinfachung der Verfahren im Gesundheitsbereich einsetzen, beispielsweise bei der Umsatzsteuerbefreiung für ausbildende Einrichtungen, Erhebungs- und Berechnungsverfahren zum Ausbildungsfonds, verschiedene Meldeverfahren bei Änderungen im Personal.

Das zu gehört auch eine flächendeckende digitale Dokumentation zur Entlastung der Pflegenden. Eine effiziente Nutzung der Digitalisierung ist von der Akzeptanz der vollständig elektronischen Pflegedokumentation und der entsprechenden Leistungsnachweise durch die Kassen abhängig. Aktuell muss zweigleisig verfahren werden: Dienste müssen Leistungsnachweise noch vor Ort bei den Kund*innen liegen lassen und es erfolgt eine doppelte Dokumentation, wenn Pflegende gleichzeitig ihre digitale Dokumentation nutzen. Der DTA (Datenträgeraustausch) muss vorgenommen werden. Parallel dazu wird die komplette Abrechnung (Rechnung und Leistungsnachweis / Durchführungskontrollblatt) in Papierform an die Kassen versendet. Das bedeutet für die Pflegenden doppelte Arbeit und frisst viel ihrer kostbaren Zeit. Anders ist dies beispielsweise in Baden-Württemberg geregelt.

„Damit Gesundheitseinrichtungen endlich miteinander effektiv sprechen können, müssen die Akteure an einen Tisch gesetzt werden und klare Empfehlungen vom Land ausgesprochen werden.“

Ambulanten Pflegedienste müssen für die kommende Anbindung an die Telematikinfrastruktur mehr Unterstützung vom Land erfahren. Wir wünschen uns vom Land eine impulsgebende Vorreiterrolle. Dazu gehört eine Synchronisierung der Vorgaben und Umsetzungsfristen und eine dazugehörige Finanzierungsstrategie auf Landesebene. Einrichtungen müssen gestärkt werden, Entscheidungen für die TI und damit verbundene Investitionen treffen zu können und diese zeitnah umzusetzen. Das kann beispielsweise durch Runde Tische erfolgen und Sammlung und Veröffentlichung von Projektbeispielen.

4.    Refinanzierung der Infrastruktur und energetischen Versorgung

„Das Land Hessen muss seine Verantwortung wahrnehmen und endlich ausreichend die Pflegeeinrichtungen fördern – damit nicht noch mehr schließen müssen“

Die Refinanzierung der Investitionskosten muss an die aktuellen wirtschaftlichen Realitäten angepasst und angemessen angehoben werden. Derzeit ist die Finanzierung der Baukosten pro Platz nicht ausreichend, weshalb notwendige Sanierungen oder Neubauprojekte nicht durchgeführt werden können. Das Land Hessen muss sich wieder nach jahrelanger Abstinenz aktiv am Neu- und Ausbau der pflegerischen Infrastruktur beteiligen und drastisch die öffentliche Förderung erhöhen. Die Refinanzierung kann nicht weiter zu Lasten der Bewohner:innen sowie der kommunalen Sozialhilfeträger gehen.

Die gegenwärtige Energiekrise zeigt auf, dass eine massive energetische Investition in die bestehende Infrastruktur erforderlich ist. Viele Einrichtungen heizen mit Gas bzw. Erdöl oder anderen fossilen Brennstoffen. Es bedarf energetischer Maßnahmen für individuelle sowie komplexe Energiebedarfsstrukturen einzelner Pflegeeinrichtungen. die mit hohen Kosten und längeren Amortisationszeiten verbunden sind. 

Das Investitionsrisiko auf dem Weg zur Klimaneutralität darf daher nicht bei den Pflegeeinrichtungen alleine liegen. Investitionen in Maßnahmen zur Erreichung von Klimaneutralität und nachhaltiger energetischer Versorgung müssen refinanzierbar sein.

Öffentliche Förderungen sowie Zuschüsse Dritter für Bau und Sanierung dürfen nicht von Investitionskosten abgezogen werden.“

Nachhaltigkeit und energetische Maßnahmen müssen in die Landesförderung integriert und im Sinne der Refinanzierung gewährleistet sein. Einsparungen durch energetische Maßnahmen dürfen sich nicht nachtteilig auf die Refinanzierung der Betriebsnebenkosten auswirken.

5.    Verschiedene Wohnformen für Menschen im Alter und/oder mit Pflegebedarf müssen vom Land gefördert, von Anbietern entwickelt und umgesetzt werden.

„Damit Innovationen im Wohnen auch in Hessen entwickelt werden, braucht es sowohl eine modellhafte Förderung von Einzelprojekten als auch die Bereitschaft vonseiten der Kostenträger für neue Wege der Finanzierung.“

Ein deutlicher Ausbau barrierefreien Wohnraums, auch um Umzüge in Pflegeeinrichtungen aufgrund ungünstiger baulicher Bedingungen (bspw. Treppe, Bad) zu verhindern, ist dringend notwendig. Zudem muss sichergestellt werden, dass in Hessen flächendeckend eine adäquate, wohnortnahe Versorgung im Gesundheitsbereich gegeben ist.

Es bedarf eines gleichberechtigten Nebeneinanders verschiedener Angebote, ausgerichtet an der jeweiligen Pflege- bzw. sozialen Situation der Menschen. Auch stationäre Wohn- und Pflegeformen bleiben ein unverzichtbares Angebot.

Ziel ist, bezahlbaren Wohnraum und Wohnformen zu fördern, die ein möglichst selbstbestimmtes Leben in unterschiedlichen Lebenslagen mit barrierefreien Teilhabemöglichkeiten in Nachbarschaft, in inklusiven Quartieren, in der Kommune, der Region ermöglicht. Dieser Prozess kann nicht von einzelnen Einrichtungen und Diensten in Pflegesatzverhandlungen eingepreist werden. 


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