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Evangelische Positionen zur WM

Fußball-Weltmeisterschaft in Katar: Boykott oder Begeisterung?

Fußballfieber

Spaß am Fußball verbindet

Eine Fußball-WM, so umstritten wie bisher keine: Zunächst war die Vergabe der Weltmeisterschaft ins Emirat Katar und dann die Terminänderung vom Sommer in die Vorweihnachtszeit strittig. Doch nicht nur deshalb ist es wichtig, sich mit dem Sportereignis auseinanderzusetzen.

Am Sonntag ist es soweit: Dann ist Anstoß zur Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Das winterliche Turnier im Wüstenstaat hat die Gemüter wie niemals zuvor schon im Vorfeld erhitzt. Während Christinnen und Christen hierzulande am Ewigkeitssonntag der Toten gedenken und dann in der Adventszeit der Feier der Geburt von Jesus Christus entgegenfiebern, wetteifern die weltbesten Fußballer unter sengender Sonne ab dem 20. November um die Krone ihrer Sportart. Das Endspiel im Emirat am Persischen Golf wird pünktlich am 4. Advent ausgetragen. Hinzu kommen Menschenrechtsverletzungen, verachtende öffentliche Äußerungen sportlicher Offizieller zur Homosexualität, fragwürdige Arbeitsbedingungen im autoritären Königreich und weltweite Boykottforderungen. Das alles stellt die kirchliche Arbeit in der Vorweihnachtszeit 2022 vor besondere Herausforderungen. Wie damit umgehen?

WM parallel zu Totengedenken und Adventszeit 

Der Propst für Rhein-Main, Oliver Albrecht, ist normalerweise ein sportbegeisterter Theologe und großer Fußballfan. „In diesem Jahr ist das anders“, sagt er und spricht nicht wenigen Bundesligafans aus der Seele. Albrecht: „Mir wird kalt, wenn ich an eine WM parallel zur Adventszeit denke, in einem Land, in dem furchtbare Dinge geschehen sind und noch geschehen. Ich bin ratlos. Diese Weltmeisterschaft wird ja stattfinden, auch wenn ich persönlich entschieden habe, mir diese Spiele nicht anzuschauen.“ Er rät deshalb allen einen „konstruktiven und kritischen Umgang“ mit dem Turnier im Wüstensand.

Mit dem Turnier in Katar aktiv auseinandersetzen

Doch wie kann der aussehen? Radikaler Boykott oder gedämpfte Begeisterung? Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung empfiehlt weder das Eine noch das Andere. Vielmehr erhoffe er sich, dass sich möglichst viele mit dem Ereignis „aktiv auseinandersetzen“ und Schlüsse für die Zukunft des Sports ziehen. Die Vergabe der Weltmeisterschaft nach Katar sei von Beginn an wegen Menschenrechtsfragen, „ausbeuterischen Arbeitsbedingungen“ und der Terminierung in der Vorweihnachtszeit strittig gewesen, erklärt er. Zwar verwiesen Stimmen darauf, dass der Blick der Weltöffentlichkeit und die Kritik zu Verbesserungen etwa der Arbeitsbedingungen in dem Emirat geführt hätten. Die Einschätzungen und das Bild seien aber „keineswegs eindeutig“, schreibt er in einem Gastbeitrag für das evangelische Arbeitsheft zur WM „Macht hoch die Tür, die Tooor macht weit".

Kriterien für sportliche Großveranstaltungen gefragt

Im Grunde ist das Fußball-Kind bei der aktuellen WM in Katar also schon seit einem Jahrzehnt in den sportlichen und politischen Brunnen gefallen. Tatsächlich regte sich in der Vergangenheit auch kaum jemand beim Thema Handball-WM in Katar 2017 oder Formel-Eins-Rennen im Wüstenstaat auf. Jung blickt deshalb eher nach vorne: „Es ist dringend nötig, sich grundsätzlich mit dem Thema sportliche Großveranstaltungen zu beschäftigen“. Aus christlicher Sicht, so Jung, müssten bei sportlichen Großveranstaltungen immer „Menschenwürde und Menschenrechte – einschließlich der so wichtigen Religionsfreiheit sowie die Verantwortung für den Erhalt der Schöpfung im Zentrum“ stehen. Daher setze sich die evangelische Kirche dafür ein, dass für die Vergabe von Großveranstaltungen hierzu Kriterien entwickelt werden müssen. Mit der dann 2024 in Deutschland stattfindenden Fußball-Europameisterschaft könne dann gezeigt werden, wie wichtig es ist, sich für einen „menschengerechten, fairen und ökologischen Sport einzusetzen“.

Auch Profisportler selbst sind mehr in der Pflicht

In der Pflicht sieht die ZDF-Sportjournalistin Claudia Neumann in Katar aber auch die Fußballheroen selbst. Bei einer Veranstaltung zum Reformationstag plädierte sie in Mainz in einem Gastbeitrag dafür, die politische Dimension des Sports öffentlichkeitswirksam zu nutzen. Neumann: „Jahrzehntelang hat man Sportlerinnen und Sportlern eingebläut: ‚Haltet euch raus aus politischen Diskussionen – konzentriert euch auf eure Kernkompetenz, den Sport‘“. Diese Haltung bröckele seit Jahren. Als positives Beispiel sieht sie etwa das Herz-Symbol des Nationalspielers Leon Goretzka im Spiel gegen Ungarn bei der vergangenen EM. Es war eine pointierte Antwort auf die homophoben Fangesänge der ungarischen Anhängerschaft und, so Neumann, das „wachsweiche Rumgeeiere der damaligen DFB-Verantwortlichen“.

15.000 Pässe der Evangelischen Jugend

Unterdessen ruft die die Evangelische Jugend in Hessen und Nassau (EJHN) zu einer Katar-kritischen Aktion auf, die gegen die Arbeitsbedingungen in dem Wüstenstaat protestiert. 15000 Gastarbeiter sollen laut Amnesty International in Katar seit der WM-Vergabe im Jahr 2010 ums Leben gekommen sein; das WM-Organisations-Komitee spricht im Gegensatz dazu von lediglich 40 Toten. Wie viele Opfer es im direkten Zusammenhang mit der WM gegeben hat, steht nicht genau fest. Dass Menschen für die Weltmeisterschaft gestorben sind, steht aber nach übereinstimmender Meinung vieler Expertinnen und Experten außer Frage. Deshalb haben junge Leute aus der Evangelischen Jugend in Hessen und Nassau (EJHN) die Aktion „15.000 Pässe für Katar“ ins Leben gerufen und möchten damit ein Statement für Menschenrechte und für den Boykott der WM setzen.

Aktionsidee #15KPässe zieht erste Kreise

Die Idee der Aktion: Für jeden Gastarbeiter, der seit der WM-Vergabe in Katar sein Leben verloren hat, wird mit dem Ball ein Pass gespielt – in Gedenken an die Verstorbenen. Die Jugendlichen rufen Gruppen und Kirchengemeinden auf, sich an diesem stillen Protest zu beteiligen. Fotos von Aktionen sollen dann mit dem Hashtag #15KPässe in sozialen Netzwerken veröffentlicht und als „stiller Protest gegen das geschehene Unrecht“ im Vorfeld der WM verstanden werden. Die Idee zieht erste größere Kreise: Schülerinnen des Evangelischen Gymnasiums Bad Marienberg wollen in der ersten WM-Woche gleich mit 70 Bällen 15.000 Pässe spielen.

Diffamierende Äußerungen WM-Botschafter zu Homosexualität

Im Hier und Jetzt bleib erst einmal auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Die Ratsvorsitzende der EKD, Annette Kurschus, und der EKD-Sportbeauftragte Thorsten Latzel, haben sich in einem Offenen Brief an DFB-Präsident Bernd Neuendorf gewandt und nachdrücklich für die Einhaltung der Menschenrechte in Katar eingesetzt. Vor allem die „jüngsten diffamierenden Äußerungen zur Homosexualität von Khalid Salman, Botschafter des Turniers“ hätten die Kritik am Austragungsort nochmals verstärkt. Salman hatte Homosexualität in einem ZDF-Beitrag im Vorfeld der WM als „geistigen Schaden“ bezeichnet.

EKD sieht „Sportwashing“ bei aktueller WM

Als Kirchenvertretende wollten Kurschus und Latzel aber gleichzeitig auch keine „Spielverderber“ sein, sondern sich für einen Sport einsetzen, „der dem Menschen dient“. Die EKD hat deshalb zur WM eine Videokampagne gestartet, in der Menschen, die in gesellschaftlicher Verantwortung stehen, in kurzen Texten ihre Position zur WM in Katar zeigen. Den Anstoß macht der EKD-Sportbeauftragte selbst. Thorsten Latzel wirft Katar in seinem Beitrag „Sportwashing“ vor, bei dem ein Land mit einer prominenten Sportveranstaltung versucht, von eigenen ethischen Herausforderungen abzulenken.

Von Katar für die Zukunft lernen

In die Zukunft blickt derzeit schon Frankfurts Stadionpfarrer Eugen Eckert. Der sportbegeisterte Seelsorger meint, dass nun zwölf Jahre seit der Vergabe der WM an Katar mehr oder weniger stumm verstrichen seien. Er zeigt sich deshalb eher überrascht von der plötzlichen Wucht der Proteste. Im Prinzip kämen sie aber ein Jahrzehnt zu spät. Nun werde die WM eben am 20. November angepfiffen: „Wenn das aber schon ist, wie es ist“, könne die Kirche parallel zum Turnier in Adventsveranstaltungen etwa „Fragen nach Menschenrechtskonzepten zu stellen - im Blick auf die Fifa, die Uefa, aber auch unsere Bundesligaklubs“, gibt er als Tipp in der evangelischen Arbeitshilfe zur WM, „Macht hoch die Tür, die Tooor macht weit“.  Auch Fragen des Klimaschutzes oder von Lieferketten könnten aufgegriffen werden. Und er blickt nach vorne: „2024 ist Deutschland Gastgeberland für die Fußball-Europameisterschaft. Dann können wir als Kirchengemeinden im Zusammenspiel mit den Sportverbänden und Kommunen zeigen, ob wir etwas aus Katar gelernt haben.“

Materialtipp 
Die evangelische Kirche hat angesichts der umstrittenen Fußball-Weltmeisterschaft in Katar bereits im Sommer spezielle Hilfsmaterialien für Kirchengemeinden vorbereitet. Unter der Überschrift „Macht hoch die Tür, die Tooor macht weit“ gibt ein Arbeitsheft auf 36 Seiten Tipps für einen konstruktiv-kritischen Umgang mit der umstrittenen WM. Die Broschüre mit dem Titel in Anlehnung an das bekannte Adventslied enthält Anregungen für Gottesdienste an den Adventssonntagen im Schatten der WM und Aktionsvorschläge für die Gemeindearbeit. Ergänzt wird das Heft durch Gastbeiträge unter anderem von DFB-Präsident Bernd Neuendorf, ZDF-Sportmoderatorin Claudia Neumann oder Hessen-Nassaus Kirchenpräsident Volker Jung sowie dem EKD-Sportbeauftragten und rheinischen Präses Thorsten Latzel.
www.ekhn.de/katar 

 

 


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