Begegnung mit Unternehmen
Käßmann: Mit Gottvertrauen durch wirtschaftliche Erfolge und Krisen
Die frühere Hannoversche Landesbischöfin und EKD-Ratsvorsitzende der EKD, Margot Käßmann, hat beim sommerlichen Empfang für Unternehmerinnen und Unternehmer in Hessen-Nassau dafür plädiert, auch in der Geschäftswelt „mehr Vertrauen zu wagen“. Was das genau bedeutet, darüber sprach EKHN.de exklusiv mit der bekanntesten evangelischen Theologin Deutschlands.
Bei dem Treffen am Dienstagagebend (19. Juli) in Frankfurt zeigte auch Unternehmensgründer und Coach Christoph Seipp, dass Vertrauen eine Grundvoraussetzung bei der Gründung eines Unternehmens ist. Für Hessen-Nassaus Kirchenpräsident Volker Jung, den Gastgeber des Abends, stellte sich die Frage, wie die Kirche mit Vertrauenskrisen umgeht. Menschen, die beispielsweise durch sexuelle Gewalterfahrungen das Vertrauen in die Kirche verloren haben, müssten darauf vertrauen können, dass Kirche alles dafür tut, die Fälle aufzuklären, so Jung.
Frau Käßmann, warum legen Sie den Unternehmerinnen und Unternehmern ans Herz „Vertrauen zu wagen“?
Unsere Gesellschaft kann nur durch Vertrauen zusammengehalten werden. Wenn wir in ständigem Misstrauen leben, zerstört es das Gewebe, das uns miteinander verbindet. Ich schätze sehr das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns, der ein Gespür für die Würde anderer Menschen hat und seine Geschäfte ehrlich tätigt.
Unternehmerinnen und Unternehmer sehen sich aufgrund der zahlreichen Krisen vor vielen Herausforderungen – ob Inflation, Energiekrise, Klimakrise, Cyberattacken, unsichere Lieferketten und dem Krieg in der Ukraine. Und Sie widmen sich jetzt dem Thema Vertrauen. Wie passt das zusammen?
Es braucht Vertrauen ins Leben und in Gott, weil es in jedem Leben Krisen gibt. Jede Existenz braucht das Zutrauen, dass es eine Zukunft gibt. Gerade Unternehmerinnen und Unternehmer wissen, dass nie alles im Gleichklang weiterläuft. Deshalb brauchen sie Mut. Damit ist auch ein gewisses Risiko verbunden. Manche nehmen die Herausforderung gerne an, für andere ist sie eine große Belastung.
Aber was, wenn es trotz Gottvertrauens zu Rückschlägen kommt?
Nicht immer gelingt alles, Scheitern ist auch Teil des Lebens. Dann ist aber nicht die Frage, warum Gott das zugelassen hat. Da geht es um eigene Verantwortung. Gott ist kein Marionettenspieler. Stattdessen kann Gottvertrauen die Kraft geben, mit Rückschlägen, Leid und Scheitern umzugehen.
Können Sie ein Beispiel nennen, wie Gottvertrauen in Krisenzeiten neue Kraft geben kann?
Hier denke ich an meine eigene Familie: Meine Großmutter wollte mit ihrer Familie nach Kriegsende 1945 von Köslin in Pommern mit dem letzten Zug in den Westen flüchten. Aber genau in diesem Moment setzten die Wehen bei meiner Tante ein. Der Zug fuhr ohne die Familie weg. Meine Großmutter musste dann in Pommern den schrecklichen Winter 1945/46 erleben. Mein Großvater ist auf dem Transport nach Sibirien gestorben. 1946 machte sich meine Großmutter mit ihrer ältesten Tochter und den drei Enkeln auf den Weg zu eine Forsthaus in Hessen, wo ihre Schwester lebte. Sie kamen völlig abgemagert, erschöpft und verlaust an. Als eines der Kinder die weißen, frisch bezogenen Betten sah, sagte es: `Sind wir jetzt im Himmel?´ Obwohl meine Großmutter Furchtbares erlebt hatte, habe ich erlebt, wie sie laut in der Küche das Lied „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ sang. Sie hat darauf vertraut, dass Gott sie in guten und schlechten Zeiten begleitet, ihr Kraft schenkt, weiterzuleben.
Wie kann das Vertrauen der Mitarbeitenden gestärkt werden?
Gerade in unserer sozialen Marktwirtschaft sollte für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber nicht nur der maximale Gewinn zählen, sondern sie sollten die Situation der Mitarbeitenden im Blick haben. Dann wächst deren Vertrauen zu den Verantwortlichen. Das habe ich selbst bei den Firmen in Stadtallendorf erlebt, dort bin ich aufgewachsen. So hat der Firmenchef der Eisengießerei Winter seinen Mitarbeitenden ganz persönlich seine Anerkennung gezeigt, wenn sie viele Überstunden geleistet haben: Er ist mit einem Kasten Bier durch die Halle gegangen und hat jedem eines gegeben – heute natürlich nicht wirklich korrekt. Bei Ferrero war die Frau des Firmenleiters am Standort in Stadtallendorf dafür bekannt, dass sie sich um die Familien der Mitarbeitenden gekümmert hat. Als eine Mutter dem Chef der Firma Schühmann ihre Schuldenproblematik geklagt hatte, lieh er ihr einen sehr stattlichen Geldbetrag. Als sie ihn zurückzahlen wollte, kam die Antwort: `Das Geld ist geschenkt, weil Sie als Mitarbeiterin ein Geschenk sind.´ Mein Vater hat in der Tankstelle viele solche Geschichten gehört. Da gab es Respekt für die Unternehmer, weil sie für ihre Mitarbeitenden gesorgt haben.
Sie meinen, dass diese Firmen-Chefs in ihren Mitarbeitenden mehr als nur Human Resources gesehen haben?
Gerade in Familienunternehmen wird die Verantwortung für Mitarbeitende noch gelebt. Sie gelten nicht nur als `Human Resource´, sondern als `Humans´. Dann fällt es auch den Mitarbeitenden leicht, sich mit dem Unternehmen zu identifizieren.
Ich bin mir sicher, dass eine solche Haltung auch VW im Umgang mit dem Abgasskandal gutgetan hätte. Viele Mitarbeitende sind dort schon in der 3. oder 4. Generation dabei. Wenn jemand aus der Führungsriege Verantwortung übernommen und die Fehler eingestanden hätte, hätte das viel Positives auslösen können. Aber das ist bis heute ausgeblieben.
Der VW-Skandal ist ein Beispiel, wie Vertrauen enttäuscht wurde. Was nun?
Vertrauen sollte gewagt werden. Aber es gehört zur Lebenserfahrung, dass es auch enttäuscht werden kann. Dabei sollten wir erstmal zulassen, dass wir uns enttäuscht fühlen. Die Schlussfolgerung darf aber nicht sein, nie wieder zu vertrauen. Es gilt, über Irritationen klar miteinander zu sprechen. Mit Vertrauen meine ich nicht Naivität, die Realität ausgeblendet. Es ist gerade typisch protestantisch, selbst die Bibel zu lesen, selbst zu denken, kritisch zu hinterfragen und aktiv zu handeln.
Problematisch ist, wenn jemand Vertrauen gebrochen hat, aber seinen eigenen Fehler nicht sehen kann oder will, sich weigert, in den Spiegel zu schauen. Donald Trump ist dafür ein Beispiel. Einige missbrauchen Vertrauen, um sich Vorteile zu verschaffen. Aber wie sieht es bei den Reichen und Schönen dieser Welt wirklich aus? Ich bin überzeugt: Macht, Besitz und Geld machen am Ende nicht glücklich. Von der deutschen Schriftstellerin Gertrud von le Fort ist der Satz überliefert `Von allem, was ich besaß, blieb mir nur das Verschenkte.´ Das erinnert mich an das 10. Gebot, wonach wir nicht begehren sollen, was zu einem anderen gehört. Solche Gier macht krank, denke ich.
Wie lässt sich der Zugang zu Empathie und Vertrauen wieder öffnen?
Unternehmerinnen und Unternehmer stehen unter großem Druck, dadurch kann das Gefühl für die Anliegen der Mitarbeitenden verloren gehen. Deshalb ist es wichtig, sich eine Auszeit zu nehmen, das Smartphone auszuschalten, Abstand zu finden. Bei Pilgerwanderungen oder ein paar Tagen im Kloster kann Fragen nachgehen: Wo komme ich her? Wo möchte ich hin? Wer ist mir wichtig? Was trägt mich?
Bitte noch eine schöne Vertrauensgeschichte zum Abschluss.
Gerade die evangelische Kirchengeschichte zeigt, dass mit Vertrauen auf tragfähige Ideen Wege aus ausweglos erscheinenden Situationen gefunden werden können. In der ehemaligen DDR wurden Christinnen und Christen häufig benachteiligt, sie waren in einer schwierigen Lage. Dann hatte der evangelische Theologe Friedrich Schorlemmer anlässlich des Kirchentages 1983 zu Martin Luthers 500. Geburtstag die Idee, ein Schwert ganz real zu einer Pflugschar umschmieden zu lassen. Für Christen ist das ein Symbol des Friedens. Obwohl die Staatssicherheit im Wittenberger Lutherhof präsent war, hat der Kunstschmied Stefan Nau die Idee am Amboß umgesetzt. Die Botschaft war klar: `Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen´ (Micha 4,3) – Gerechtigkeit und Frieden werden sein. Darauf haben viele Menschen vertraut, 1989 ist die Mauer in der DDR friedlich gefallen. Hoffnung und Vertrauen sind Geschwister.
Margot Käßmann studierte Theologie in Tübingen, Edinburgh, Göttingen und Marburg. 1985 wurde sie ordiniert und schloss 1989 ihre Promotion an der Ruhr-Universität Bochum ab. Nach ihrer Tätigkeit als Pfarrerin war sie später Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages und von 1999 bis 2010 Landesbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers. Offiziell war die ehemalige Hannoversche Landesbischöfin zuletzt als Botschafterin des Rates der EKD für das Reformationsjubiläum unterwegs. Aber auch im Ruhestand geht Margot Käßmann ihrer Leidenschaft nach, den Menschen den christlichen Glauben lebensnah zu vermitteln, indem sie Podcasts veröffentlicht, Lesungen und Vorträge hält.