Pride-Monat Juni
Queerer Gottesdienst gibt Menschen Raum in Kirche
Es ist Juni. Die meisten Firmenlogos wechseln zum Regenbogenlook. Städte hissen Regenbogenflaggen und durch sie ziehen Demonstrationen oder Paraden mit viel Glitzer, lauter Musik und auch sie sind gehüllt in die Farben des Regenbogens. Es ist Juni. Es ist Pridemonth also der Pridemonat. Und Pride-Gottesdienst in Bad Schwalbach. Der Altarraum der Bad Schwalbacher Reformationskirche ist eindrucksvoll in die Farben des Regenbogens eingetaucht. Über dem Lesepult hängt eine Regenbogenfahne. „Der Kirchenvorstand steht zu 100 Prozent hinter diesem Gottesdienst“, stellt sie klar und dann fordert sie die Menschen lächelnd auf: „Lehnen Sie sich zurück und genießen Sie den Abend.“
Leichter Gottesdienst mit Kirchentagsflair
Den Abend zu genießen fällt niemanden schwer. Dragqueen Kelley Heelton nimmt die Besucher liebevoll und authentisch in ihren Bann. Schon das erste Lied „Da berühren sich Himmel und Erde“ kommt auf Wunsch von Pfarrerin Ann-Sophie Huppers beschwingt im Walzertakt daher. Gemeinsam mit Kelly Heelton, einer der Bad Schwalbacher Aktivistin, bewegen sich beide leicht tanzend und schnipsend im Altarraum, Kantor Patrick Leidinger begleitet das Lied gekonnt professionell und dennoch leicht. Schnell stehen die Besucher auf und schwingen mit. „Das ist ja wie auf dem Kirchentag“, sagt eine Besucherin begeistert.
Ann-Sophie Huppers erzählt, dass, als sie vor einem Jahr mit Patrick Leidinger die Idee zum Gottesdienst hatte, niemand ahnen konnte, wie aktuell das Thema des Gottesdienstes sein würde. Seit Sonntag - dem Abschlusstag des Kirchentags in Nürnberg - sehen sich die Predigenden der Schlussgottesdienste einer Welle von Hasskommentaren ausgesetzt. Quinton Ceasar hatte im von der ARD übertragenen Gottesdienst auf dem Hauptmarkt eine sehr persönliche und emotional aufwühlende Predigt gehalten. Er hatte Rassismus angeprangert und deutlich gemacht: Viele Menschen fühlen sich in der Kirche nicht sicher. Alexander Brandl hat auf dem Kornmarkt über die Kraft von Gottes Liebe gepredigt, und dabei der „Transfrau“ Constanze Pott und ihrer Geschichte ihrer Transition Raum gegeben.
Menschen Raum in Kirche geben, die sonst wenig Raum haben
„Ich bin stolz, dass die EKHN, unsere Landeskirche, schon im Frühjahr ein Schuldbekenntnis gegenüber queeren Menschen verabschiedet hat, in dem sie alte Schuld benennt und klar ausdrückt. Darin heißt es unter anderem: „Der Mensch kann zu Gott beten: „Ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin. Wunderbar sind deine Werke, das erkennt meine Seele“ (Psalm 139). Dieser Lobpreis ist unabhängig von dem Geschlecht eines Menschen und von der sexuellen Orientierung.“ „Deshalb wollen wir heute den Menschen Raum geben, die so oft zu wenig Raum in der Kirche haben“, erklärte Huppers die Motivation für den Gottesdienst.
Die in Sao Paolo geborene Kelly Heelton erzählt, dass sie schon als 6-jährige in ihrem Heimatland Brasilien in den Gottesdienst ging und im Gospel Chor sang. „Ich habe dort gelernt, dass Gott gut ist und keine Fehler macht. Also können sie als sein Geschöpf „auch kein Fehler sein“, sagt sie ermutigend zu den Besucherinnen und Besuchern. Und singt anschließend wuchtig und eindrucksvoll das Psalmlied „Ich sing‘ Dir mein Lied“. Abwechselnd auf Portugiesisch und Deutsch. Der ganze Kirchraum wird vom Gesang erfüllt und die Menschen in der Kirche halten förmlich den Atem an.
(Musikalische) Statements als Predigt
Die Predigt wird durch sehr persönliche Statements von Mäx Stübing, Lauritz Rößler und musikalisch von Patrick Leidinger gestaltet. „Der Begriff Pride kommt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt so etwas wie stolz sein“, erklärt Mäx Stübing. Sie erinnert sich noch sehr gut daran, wann sie zum letzten Mal stolz auf sich war: Nämlich als sie Anfang Mai ihren Magister in Theologie in den Händen hielt. Und das nach mehreren Versuchen und etlichen Hindernissen. Sehr bewegend erzählt sie von ihren ersten Erfahrungen als queerer Mensch in der Kirche. „Ausgrenzung und Ängste, die vielleicht auch nur aus Unwissenheit oder Fremdheit kommen, sind auch heute noch in vielen Kirchengemeinden und anderen sozialen Gefügen, wie Sportvereinen, an der Tagesordnung.“ Sie weiß aber eigener Erfahrung, dass es als Christin in der queeren Community ebenfalls oft nicht einfach sei.
Nach etlichen negativen Erfahrungen in ihrer Heimatkirchengemeinde habe sie nur zwei Möglichkeiten gesehen, erzählt sie weiter. „Entweder der Kirche für immer den Rücken kehren und diesen großen Teil meines Leben, der mich sooft in schweren Zeiten getragen hat, ablegen. Also den Ort, „der mir sehr lange Heimat war verlassen, und hoffen irgendwo etwas Ähnliches zu finden.“ Oder „mir meine Heimat nicht nehmen zu lassen und mich nicht unterkriegen zu lassen.“ Sie betont, dass sie nicht nur einen Safe Space für sie wollte, „sondern für alle Menschen wie mich schaffen.“ Sie entschied sich für letztere Variante. Deshalb stehe sie heute hier.
Nach Coming Out wieder Luft zum Atmen
Auch der Hohensteiner Lauritz Rößler gibt einen tiefen Einblick in seine Erfahrungen mit seinem Leben als queere Person. Mittlerweile sei er stolz sei er auf sein Queerness. „Queer zu sein - bzw. offen dazu stehen zu können -, bedeutet für mich glücklich zu sein!“ Vorher habe er das ständige Gefühl gehabt, „kaum Luft zu bekommen.“ Stattdessen habe er sich immer mehr zurückgezogen. „Mit dem Coming Out kam dann die Befreiung: Ich habe endlich wieder angefangen zu leben, mehr und mehr aus mir rauszukommen. Ich weiß nun, wie es sich anfühlt, wirklich zu atmen. Und wie es sich anfühlt, wirklich happy zu sein“, sagt er selbstbewusst vor den Menschen in der Reformationskirche.
Und genau deshalb seien ihm solche Formate, wie der Pride-Gottesdienst so wichtig: Um laut und deutlich und bunt ein klares Zeichen zu setzen, dass Gott die Liebe ist. Denn Gott lege keinen Wert auf Sexualität, Identität, Hautfarbe, Aussehen oder sonst was, so Lauritz. „Gott liebt uns alle gleichermaßen!“ Und so lautet seine Botschaft an diesem Abend: „Du bist ein geliebtes Kind Gottes. Du bist wunderbar geschaffen, wie du bist! Und deshalb kannst auch Du verdammt noch mal stolz darauf sein, was du bist! Weil Du einfach toll bist, wie Du bist!“
Kantor Patrick Leidinger trägt sein Statement musikalisch am Flügel vor. Es beginnt mit einer etwas unheilvoll klingenden Art Moll-Tonleiter, die sich immer höher schraubt. Dissonanzen mischen sich immer wieder dazu, mal ein Triller, mal losen Tonfolgen, die Melodie wird mal schneller, mal langsamer. Die ganze Breite der Klaviatur wird von Leidinger beansprucht. Nach und nach wird es harmonischer, fröhliche Akkorde setzen sich durch und lassen die Melodie wie ein Frühlingserwachen klingen. Assoziationen wie der Lauf eines Baches oder ein Sonnenaufgang kommen den Zuhörenden. Das Stück endet leicht und verspielt.
Für alle drei Statements gibt es lang anhaltenden Applaus, bevor dann die Besucherinnen und Besucher selbst die Möglichkeit haben, eigene Wünsche und Gebetsanliegen vor Gott zu bringen, in dem sie diese auf einen Zettel schreiben. Princess Nwaiwu, Lauritz Rößler, Mäx Stübing und Ann-Sophie Huppers beten dann einen Teil der Fülle von Anliegen in der Fürbitte, die dann in das Vater Unser in der Version der Bibel in gerechter Sprache übergeht. Ein Segen und ein letztes Lied von Kelly Heelton beenden den Gottesdienst. Mit viel Applaus und stehenden Ovationen.